Warum in die Ferne reisen einen Unterschied für mich macht

Mir fehlt das Urlaubmachen in fremden Gefilden während der Corona-Pandemie sehr. Denn je weiter entfernt eine Kultur zu meiner eigenen liegt, desto mehr kann ich mich entspannen. Oder besser gesagt: Es fällt mir leichter, Distanz zu meinem alltäglichen Leben zu gewinnen. Die Eindrücke, die ich in fernen Ländern gewinne, brauche ich als Inspirationsquelle, als Energiebooster und als Erweiterung meines Horizonts. Sie verbinden mich mit dem Rest der Welt – mit der Natur, mit den Menschen. Nun also verbringen wir schon den dritten Urlaub coronabedingt in Deutschland. Wir waren auf dem Darß. Ganz schön. Und ganz schön voll. Vor allem mit E-Bike fahrenden, vollausgerüsteten Landsleuten. Dann in Ostfriesland. Ja, okay, dort war ich vorher noch nie gewesen. Also schon irgendwie neu und fremd? Ich liebte die freilaufenden Schafe und die vielen Zugvögel am Watt, aber nicht so den vielen Regen und das Otto-Museum (wtf! Ist das etwa deutsches Kulturgut?).

Für Kinder bedeutet Urlaub etwas anderes als für Erwachsene

Jetzt sind wir also in der holsteinischen Schweiz, wieder in Deutschland. Zu dieser Gegend habe ich aber eine andere Beziehung, denn hier habe ich als 11- und 12-Jährige zwei wundervolle Sommerferien bei meiner Tante Gisela verbracht. Ich habe nicht viele konkrete Erinnerungen, eher so ein warmes Gefühl des Behütetseins, des Freiseins, des endlosen Sommers mit dem Geruch von geschnittenem Gras. Meine Tante hatte damals ein riesiges Grundstück mit Wohnhaus, Wald, Weiden und vielen Tieren in einem kleinen Dorf am Plöner See. Ich erinnere mich an diesen fast labyrinthartigen Flecken Land mit vielen Hütten für Maschinen und Tiere oder an den kleinen, grob zusammengezimmerten Pavillon aus alten Fenstern, in den sich meine Oma ein paar Mal am Tag zurückzog, um für ein paar Minuten ihre nie enden wollende Arbeit zu unterbrechen, um in Ruhe eine Zigarette zu rauchen.

Tiere waren wichtig für meine perfekten Sommerferien

Wenn ich an die Sommerferien in Holstein denke, sehe ich auch meinen ersten Reitversuch vor mir, der kläglich damit endete, dass sich das Pony mit mir darauf einfach seitlich hingelegt hat – ich war noch nie das klassische Pferdemädchen und sollte auch nie eines werden. Erinnerungen an die kleinen Kätzchen auf dem Speicher einer Scheune, die ich immer besucht habe, um sie ausgiebig zu streicheln und meine Arme zerkratzen zu lassen. Erinnerungen an den Hund eines Verwandten, der in der Waschküche angebunden wurde, damit ich ihn irgendwann holen konnte, um mit ihm durch die Wiesen und Felder zu streifen. Wie lang er wohl stets da unten warten musste, bis ich kam? Und wurde er Gassi geführt, wenn ich nicht vorbeikam?  

Ich erinnere mich an die Häschen draußen im Hof, die ich jeden Morgen zum Anfang meiner Runde über das Grundstück besuchte, um sie ausgiebig zu streicheln. Und ich sehe die Schafe vor mir, die meine Tante und mein Onkel über viele Jahre auf ihren Wiesen stehen hatten, damit sie das Gras abfraßen. Jedes dieser Schafe hörte auf seinen eigenen Namen und kam angelaufen, wenn man es rief: Böcki, Lumpi, Kalle und wie sie alle hießen. Wenn ich manchmal alleine auf die Weide lief, rannten sie alle auf einmal auf mich zu in der Hoffnung, dass ich ihnen was Gutes zu essen mitbringe. Da bekam ich es schon mit der Angst zu tun, ob ich überrannt oder die Herde im letzten Moment stehenbleiben würde.

Baumallee am Schloss Eutin

Wenn ich das so aufschreibe, merke ich, dass mir diese beiden Sommerferien bis heute als so schön im Gedächtnis geblieben sind, weil ich frei herumstreunen konnte, ohne dass ich sagen musste, wohin ich gehe und was ich tue. Und auch, weil ich so nah an der Natur und den Tieren war, die ich in der kleinen Stadtwohnung, in der wir lebten, so sehr vermisste. Manche Dinge tat ich dort zum ersten Mal: Reiten, Traktor fahren, Heu machen, Plattdeutsch hören, ein Ferkel auf den Arm nehmen, alleine die Welt erkunden. Für mich sahen damals so die perfekten Ferien aus.

Das brauche ich als Erwachsene für einen gelungenen Urlaub

Heute als Erwachsene helfen mir Natur und Tiere immer noch sehr dabei, Abstand zum Alltag zu finden, mich zu erholen, aber dieses „Dinge, das erste Mal tun, hören, sehen, riechen, fühlen“ oder „Dinge, die ich nicht kenne und mir fremd sind, erleben“ – das brauche ich immer noch, damit ich abschalten kann. Das kann ich in Deutschland leider mittlerweile nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt finden. Zu vertraut ist mir alles. Und manchmal nervt es mich auch. Es ist schön, nach Jahrzehnten wieder in der Holsteinischen Schweiz zu sein, aber das Gefühl von damals werde ich hier wohl nicht mehr zum Leben erwecken.

Ich freue mich vielmehr schon jetzt darauf, vielleicht bald wieder dort zu sein, wo ich Dinge wieder ganz neu entdecken kann. Das erste Mal wieder fremdartige, orientalische Gewürze im Essen schmecken, das erste Mal in einem Souk mit dem geschäftstüchtigen Verkäufer um ein kleines Souvenir feilschen, das erste Mal Bergformationen sehen, die ich nicht für möglich gehalten hätte, das erste Mal wieder mit einem Menschen sprechen, dessen Leben sich komplett von meinem unterscheidet. Ich brauche das je Andere, das mein eigenes Leben so bereichert und mich einfach glücklich macht.